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Wie RTL und Stern aus Sensationsgeilheit Menschenleben riskieren.

Undercover-Reportagen gehören zu den gefährlichsten und aufwendigsten Gattungen des Journalismus. Sie benötigen Vorbereitung, rechtliche Sicherheit und vor allem schauspielerisches Talent. Doch RTL scheint das alles nicht zu interessieren. Zu hoch ist das Verlangen nach emotionalen Bildern, nach Aufmerksamkeit und Sensation. Vor wenigen Tagen veröffentlichte RTL im Rahmen des RTL-Magazins „Extra“ eine Undercover-Reportage gemeinsam mit dem Stern. Als ich die Reportage sah, staunte ich nicht schlecht, denn was ich dort sah, schockierte mich gleich auf mehreren Ebenen. Denn beide Medien zeigten, dass ein Journalist nicht nur schreiben können muss, sondern auch sein Handwerk beherrschen und Verantwortung tragen sollte.

Doch was ist passiert? Die RTL-Journalistin Angelique Geray hat sich für mehrere Monate bei einem rechtsterroristischen Jugendnetzwerk eingeschleust und dort recherchiert. Das ist nicht die erste Undercover-Reportage der Dame aus dem Qualitätspool namens RTL. Bereits vor mehreren Monaten veröffentlichte RTL eine Investigativreportage in einem rechtsextremen Milieu mit Geray als Reporterin. Dort wurde Angelique in die Frauenorganisation der Jungen Nationalisten (JN) der NPD (heute: Die Heimat) eingeschleust. In dieser Reportage finden sich übrigens ähnliche Marotten wie in der jetzigen. Hier behandle ich allerdings vorrangig die zweite Reportage „Der Fall letzte Verteidigungswelle“, da hier meines Erachtens viele journalistische Mängel auf die Spitze getrieben werden. Veröffentlicht wurden beide Recherchen im Stern als Text und frei zugänglich auf YouTube als Video.

An der Stelle sei angemerkt, dass Angelique Geray nicht nur früher mehrere Stationen ihrer journalistischen Laufbahn bei der BILD absolvierte, sondern auch die ehemalige Chefredakteurin von BILD TV ist. Behaltet das im Hinterkopf, denn so fügt sich später ein Puzzle des sichtbar grauenhaften Journalismus zusammen.

Die Chronologie des journalistischen Versagens

In der Reportage schleust sich Geray als vermeintlich Rechtsextreme bei der rechtsterroristischen Jugendgruppe „Letzte Verteidigungswelle“ ein. Eine Chatgruppe, in der sich rechte Jugendliche austauschen, verabreden und gemeinsam Anschläge planen. Später in der Reportage trifft sich Angelique dann mit den Rechtsextremen. Selbstverständlich Undercover. Wobei Undercover ein sehr euphemistisches Wort ist, für das, was sie da abliefert. Denn man merkt in jedem ihrer heimlich gefilmten Aufnahmen, wie ungeeignet Geray eigentlich für eine Undercover-Recherche ist. Der billige Nazi-Fit ist dabei das geringste Problem. Was wirklich ins Auge springt, ist Gerays Auftreten: Sprache, Mimik und Gestik – nichts passt zu dem, was die Journalistin den Nazis vorgaukeln möchte. Dass sie nicht aufgeflogen ist, grenzt tatsächlich an ein Wunder. Denn zu keiner Sekunde schafft sie es, ihre „journalistische“ Art abzulegen. Sie ist eine Reporterin, mehr nicht, und das merkt man. Zu ihrem Glück sind Nazis ein dummer Haufen Intelligenzverweigerer. So sitzt sie beispielsweise mit einem der Rechtsextremen im Auto auf dem Weg nach Tschechien, wo Waffen gekauft werden sollen und fragt wie in einem Interview: „Was wäre denn deine Wunschregierung?“, oder „Seht ihr euch so ein bisschen wie der NSU auch?“. Kleine Erinnerung, Geray ist hier angeblich als Rechtsextremistin undercover unterwegs.

Angekommen in Tschechien, beziehungsweise in der sächsischen Grenzstadt Sebnitz, wo die zwei parken, kaufen die beiden dann zwei Kugelbomben in einem Grenzmarkt. Kurz darauf erläutert der Nazi dann seinen Plan auf offener Straße: Er wolle die Kugelbomben durch das Fenster eines Flüchtlingsheimes in Senftenberg (Brandenburg) werfen. Er will, dass „die Bude abfackelt.“ Einige Tage später trifft sich Angelique dann erneut mit dem Nazi in seiner Laube und lässt sich die gekauften Bomben nochmal zeigen.

Erst danach folgt ein Einschub mit einem Experten. André Aden, ein Fotograf der Recherche Nord – einem Kollektiv, das sich professionell mit der Dokumentierung rechtsextremer Veranstaltung befasst. Er blickt fassungslos auf das Material, das Geray ihm präsentiert. Aden meint darauf: „Das heißt, da ist eine Tötungsabsicht […] Ich glaube, da hört irgendwann die Rolle [eines professionellen Journalisten] auf.“ Dieser Reporter weist das Team also auf die akute Gefahr und die Leitlinien des Investigativjournalismus hin, aber das stößt bei RTL auf taube Ohren. Journalistische Grenzen überschreiten – das lernt man bei Axel Springer wahrscheinlich nicht anders. Vor dem kleinen Einschub mit Aden bringt es Geray selbst eigentlich ziemlich auf den Punkt: „Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.“ Da hatte sie ausnahmsweise mal recht.

Dieser Einschub mit Aden geschieht allerdings erst, nachdem Geray bereits beim Bombenkauf dabei war, sich die Tötungsabsicht des Nazis angehört hat und dann Tage später bei dem Nazi in seiner Laube zu Gast war. Ob das Expertengespräch also nun vor dem Besuch in der Laube stattfand und Geray trotz Warnung des Experten einfach weitergemacht hat, oder wirklich erst danach, bleibt offen. Schließlich rückt die Polizei laut RTLs Angaben innerhalb weniger Stunden nach dem Hinweis schwerbewaffnet an. Natürlich wurde die Razzia vom Kamerateam aufgenommen, denn das war aus nicht weiter erklärten Gründen bereits vor Ort. Später heißt es in seriösen Medien, die Polizei Sachsen hätte einen anonymen Hinweis bekommen. Die Entanonymisierung übernimmt RTL gleich selbst: „Der anonyme Hinweis, das war unsere Reporterin.“

Wie verantwortungslos kann Journalismus sein?

So viel zur Reportage selbst. Mein erster zentraler Vorwurf an RTL und Stern lautet: Sensationsgeilheit. Anders lässt sich nicht erklären, warum tagelang zugesehen wurde, wie ein Nazi Bomben kauft, einen konkreten Anschlagsplan auf Flüchtlinge formuliert und mit einer scharfen Schusswaffe durch die nächtliche sächsische Provinz schießt. Erst dann, als es nichts mehr zu holen gibt – denn was hätten sie danach noch ablichten können? Den Anschlag selbst? – informiert Geray die Behörden. Man wartete also so lange, bis die gesamte Ausbeute der Dramaturgie ausgeschöpft war.

Und hier kommen wir zu meinem zweiten Vorwurf: RTL und Stern gefährden Menschenleben. Denn selbst wenn die Redaktion Zugriff auf den Gruppenchat der letzten Verteidigungswelle hatten, wer garantiert, dass der Anschlagstermin und detaillierte Einsatzpläne auch in genau dieser, und nur dieser, Chatgruppe stattfinden. Das wäre eine komplett oberflächliche Betrachtung eines dichten Netzwerks aus Faschisten. Zwischen dem Bombenkauf und dem Treffen in der Laube liegen Tage – Tage, an denen Waffen untergebracht, einsatzbereit gemacht, oder an einen anderen Ort verlegt werden konnten. Dass man in dieser Zeitspanne einfach weiterdreht, ohne auch nur einen Hinweis an die Behörden zu geben, ist unverantwortlich. In genau dieser Zeitspanne hätte der Anschlag ohne Wissen der Redaktion vollzogen werden können.

Grenzen sind zum Sprengen da – aber nicht im Journalismus

Spätestens mit dem Kauf der Bomben und der konkreten Tötungsabsicht hätte der Journalismus enden und die Behörden informiert werden müssen. Ab diesem Zeitpunkt hätte es keine heimlichen Treffen mit den Rechtsterroristen mehr geben dürfen. Journalisten, auch Undercover-Journalisten, sind keine V-Leute, die bei der Planung von Straftaten daneben stehen und gegebenenfalls noch mithelfen. Unsere Aufgabe ist es zu beobachten und aufzudecken – aber immer im Dienst der Menschen und der Demokratie. Wir sind keine Übermenschen, die über dem System stehen und keine Verantwortung tragen. Wir sind keine seelenlosen Beobachter – Wir sind selbst Akteure in einem System, das Menschenrechte ohnehin mit Füßen tritt – auch wenn das alte, verantwortungslose Journalisten nicht hören wollen. Und wenn wir Faschisten dabei beobachten, wie sie Waffen kaufen und Anschläge planen, dürfen wir nicht tatenlos zusehen. Dann haben wir verdammt nochmal zu reagieren! Im Sinne der Menschen, im Sinne der Demokratie.

Ja, es steckt Investigativjournalismus im Beitrag – aber was Stern und RTL hier gezeigt haben, war verantwortungslos und eine Bankrotterklärung unseres Berufes.

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